Stadtgeschichte
Die Geschichte der estnischen Stadt Narva ist viele Jahrhunderte lang von kriegerischen Handlungen gezeichnet gewesen und hat bis heute sichtbare Spuren in der Architektur der Stadt hinterlassen. Von den imposanten ehemaligen Befestigungsanlagen, die die bedeutende Handelsstadt gegen feindliche Angriffe schützen sollte, sind nach letzten schwersten Zerstörungen im zweiten Weltkrieg nur einige ursprüngliche Bauwerke wie die von den Dänen im 13. Jahrhundert erbaute Hermannsburg (Hermanni linnus) und der Wehrturm „Lange Hermann“ (Pikk Hermann) in Teilen erhalten oder wurden wieder aufgebaut und stellen interessante Zeitzeugnisse für Besucher der Stadt dar. Ansonsten lassen nur vereinzelte Festungsruinen rund um die Altstadt ahnen, wie umkämpft und aus diesem Grund besonders stark befestigt die ehemalige estnische Hansestadt einmal war. Auf der russischen Uferseite des Flusses Narva steht die Burg Ivangorod (Jaanilinna) aus dem 15. Jahrhundert, die mindestens so beeindruckend wie die estnische Festungsanlage von dem Bemühen um ausreichenden Schutz der stark umkämpften Städte erzählt.
Bereits im 12. Jahrhundert war die Kaufmannssiedlung Narva ein wichtiger Handelsplatz, denn die Nähe zu Russland, eine direkte Anbindung an die Ostsee und der schiffbare Fluss Narva ermöglichten schon frühzeitig einen aktiven Warenaustausch und einfache Transferwege auch nach Westeuropa, so das von diversen politischen Seiten ein immenses Interesse an dieser strategisch gut gelegenen Stadt entstand. Ein ständiger Wechsel an Besatzungsmächten, der angefangen bei den Dänen im 12. Jahrhundert über eine Herrschaft des Deutschen Orden Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum Beginn des Livländischen Krieges im Jahr 1558, in dem russische Truppen unter Iwan IV. gegen Polen-Litauen, Dänemark und Schweden kämpften, in der siegreichen Übernahme Schwedens im Friedensvertrag von Pljussa vorläufig endeten.
Bis zum Nordischen Krieg in den Jahren 1700 bis 1721 blieb Estland und somit auch die Stadt Narva unter schwedischer Herrschaft und wuchs im sogenannten „Schwedischen Goldenen Zeitalter“ zu einer blühenden Stadt mit architektonisch anspruchsvollem Stadtkern heran. Letztlich entschied Russland die kriegerischen Auseinandersetzungen für sich und Estland wurde 1721 in das unter Zar Peter I. regierte Russland eingegliedert. Die Stadt Narva war schon 1704 von den aufgerüsteten russischen Truppen eingenommen worden und blieb auch nach der Schlacht von Poltawa, in der Zar Peter I. und der schwedische König Karl XII. erneut aufeinander trafen und um die Stadt Narva kämpften, unter russischer Herrschaft.
Nachdem im Jahr 1917 der russische Zar Nikolaus II. nach schweren Unruhen in der russischen Bevölkerung abdankte und die Machtverhältnisse sich veränderten, rief Estland 1918 erstmals eine unabhängige Republik aus, die 1920 von Russland anerkannt wurde. Die territoriale Grenze beider Länder wurde neu definiert und Estland erhielt einen kleinen Landstrich auf russischer Uferseite des Flusses Narva, der auch die Stadt Ivangorod betraf. Daraus resultierend bestehen heute noch zahlreiche familiäre und freundschaftliche Verbindungen zwischen den Einwohnern der beiden ehemalig estnischen Städte. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und der erneuten Machtübernahme Russlands in Estland wurde die Stadt Ivangorod wieder russischem Territorium zugerechnet und ist auch nach der erneuten Unabhängigkeit Estlands im Jahr 1991 in russischem Besitz geblieben.
Unter russischer Besatzung wurde die im zweiten Weltkrieg stark zerstörte Stadt Narva im typisch russischen Stil wieder aufgebaut und trägt bis heute überwiegend die architektonische Handschrift der zweckmässigen, aber leider überhaupt nicht ansprechenden düsteren Betonbauweise. Viele der fast als Wohnsilos zu bezeichnenden mehrstöckigen Wohnblocks sind nach wie vor nicht verputzt und sorgen für einen deprimierenden Eindruck bei den touristischen Besuchern der Stadt.