Wirtschaft
Die wirtschaftlichen Leistungen Estlands haben mit Erlangen der erneuten Unabhängigkeit 1991 durch eine strikte Neuorganisation des Gemeinwesens und einer liberalen Wirtschaftspolitik zu starken Zuwächsen geführt. Die Reform des Steuersystems im Jahr 1994 von einer progressiven Besteuerung (16% , 24%, 33%) zu einer Einheitssteuer mit damals 26% war einmalig im europäischen Raum. Eine weitere Reduktion im Jahr 2005 auf 24% und eine kontinuierliche, jährliche Senkung um 1% soll bis 2011 zu einem einheitlichen Einkommenssteuersatz von 18% führen. Auch der Abbau von Staatssubventionen, eine schnelle Privatisierung und die Erleichterung und Vereinfachung von ausländischen Investitionen in Estland haben entscheidend zum wirtschaftlichen Erfolg beigetragen.
Da die estnische Krone seit 2004 an den Euro gekoppelt ist, sind Währungsschwankungen begrenzt und die geplante Einführung des Euro am 1. Januar 2011 wird zur weiteren Entwicklung des internationalen Warenverkehrs beitragen. Mit einem Wirtschaftswachstum von 10,8% war Estland 2006 führend innerhalb der EU. In den wirtschaftlich so erfolgreichen Jahren war die Entwicklung in der Immobilien – und Baubranche, den Dienstleistungsbetrieben wie Banken und IT-Unternehmen sowie steigende Exportzahlen für den Zuwachs verantwortlich. Auch die Tourismusbranche erfuhr eine enorme Steigerung, denn die ausländischen Besucherzahlen stiegen in den vergangenen Jahren auf über 2 Millionen. Die Finanzkrise hat auch in Estland zu einem starken Rückgang des Wirtschaftswachstums geführt. Steigende Arbeitslosigkeit (2008 – 3,7%, 2009 – 13,8%), sinkende Einkommen und eine damit verbundene geringe Kaufkraft der Menschen in Estland senkten das Wachstum in 2008 um 3,6%, im Jahr 2009 sogar um 14,1%. Für 2010 zeichnet sich eine Erholung der Auftragslage ab, so das wieder von besseren Arbeitsmarktdaten auszugehen ist. Das gesamte Aussenhandelsvolumen von 13,7 Milliarden Euro teilt sich in Estland in einen Exportanteil von 6,47 Milliarden Euro und einem Importanteil von 7,3 Milliarden Euro. Daraus resultiert ein Handelsbilanzdefizit von ca. 820 Millionen Euro für das Jahr 2009, im Jahr 2004 lag das Defizit noch bei 2 Milliarden Euro bzw. machte 13% des Bruttoinlandsproduktes aus. Estland exportiert hauptsächlich Maschinen und Elektroartikel, Holz und Möbel, Metallwaren, Textilien, Baustoffe und Fahrzeugteile (Sicherheitsgurte).
Estland ist durch seine liberale Wirtschaftspolitik und Unternehmensbesteuerung zu einem attraktiven Standort für ausländische Investoren geworden. In Estland lebende Gewerbetreibende und nicht ansässige Gewerbe, die eine Zweigniederlassung in Estland gründen, unterliegen der umgekehrten Körperschaftssteuer, d.h. Gewinn wird erst bei Ausschüttung steuerpflichtig mit einem zur Zeit geltenden Steuersatz von 21%.
Wichtigste Handelspartner Estlands sind die EU-Mitgliedstaaten, wobei die Beziehungen zu Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Mit einem Betrag von 1,15 Milliarden Euro Umsatz im Aussenhandel und einem Anteil von 10% am Importvolumen (ca. 760 Millionen) im Jahr 2009 ist Deutschland nach Finnland und Litauen einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Estlands. Der deutsche Anteil an Direktinvestitionen in Estland betrug 2009 140 Millionen Euro (1,2% vom Gesamtvolumen), Schweden ist mit einem Volumen von 4 Milliarden Euro (39,7% vom Gesamtvolumen) grösster Auslandsinvestor. Insgesamt sind über 400 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in Estland gemeldet, wobei Finanzdienstleistungen,
Immobilienhandel, Tourismus-Transport- und Kommunikationsunternehmen, Unternehmen der verarbeitenden Industrie sowie der Gross- und Einzelhandel als bevorzugte Branchen gelten. Die Wirtschaftsförderung Estlands (Enterprise Estonia) hat in Hamburg zwei Vertretungen, um den deutsch-estnischen Handel zu unterstützen und deutsche Investoren nach Estland einzuladen. In Frankfurt am Main (Frankfurt-Hahn) sitzt der Aussenhandelsverband Estlands (Estonian Trade Council). In Tallinn, der Hauptstadt Estlands, hat die Deutsch-Baltische Handelskammer ihre Niederlassung und organisiert Unternehmerreisen, Seminare und Informationsveranstaltungen, um Unternehmen aus Deutschland und Estland bei ihren geschäftlichen Aktivitäten sowohl auf dem estnischen als auch auf dem deutschen Wirtschaftsmarkt zu beraten.
Estland hat im Zuge seines jahrelangen Wirtschaftswachstums die Vorteile moderner Kommunikationsmittel erkannt und z.B.in nahezu flächendeckende Anwendung von „E-Government“ (elektronische Verwaltung) und „E-Learning“ (Computerunterstütztes Lernen) investiert und garantiert per Gesetz den Zugang zum Internet für jeden. Wer selber keinen PC besitzt, hat kostenlos Zugriff auf öffentliche Terminals in Postämtern, Bibliotheken oder Geschäften. Für grosse Teile der Bevölkerung in Estland ist der Umgang mit dem PC und Internet, die Nutzung von Internet-Banking oder der Gebrauch von Mobiltelefonen selbstverständlich. Alle Schulen in Estland sind ans Internet angeschlossen und durch das verbreitete „E-Learning“ wird schon den Schulkindern der Umgang mit diesen modernen Technologien vermittelt. Estland war das erste Land in Europa, das im Jahr 2005 bei den Kommunalwahlen „E-Voting“ (elektronische Wahl) einsetzte und 2009 bei den Wahlen für das Europäische Parlament erneut dieses Verfahren nutzte.