Politik

Estland ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie. Die Amtssprache ist Estnisch, aber auch Russisch, Englisch und Finnisch werden von vielen Bewohnern Estlands verstanden und gesprochen. Die Verfassung Estlands hat für Esten und Nicht-Esten die gleichen Grund – und Freiheitsrechte festgelegt. Das Staatsoberhaupt ist seit 2006 der für fünf Jahre gewählte Präsident Toomas Hendrik Ilves, die Regierung bilden der Premierminister und seine Minister. Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Armee, Luftwaffe, Marine, Wehrpflicht 8-11 Monate) und erfüllt repräsentative Aufgaben in seinem Land. Das Parlament (Riigikogu – Staatsrat) als gesetzgebende Gewalt besteht aus 101 Abgeordneten, die von allen estnischen Staatsbürgern nach Vollendung des 18. Lebensjahres durch Ausübung ihres aktiven Wahlrechts für 4 Jahre gewählt werden. Nach Vollendung des 21. Lebensjahres haben Esten das passive Wahlrecht, d.h. sie können sich unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen selbst als Kandidat zur Wahl stellen.



Präsident kann nur werden, wer mindestens 40 Jahre alt ist und eine estnische Abstammung nachweisen kann. Gewählt wird der Präsident vom Parlament (Riigikogu) mit mindestens Zweidrittel-Mehrheit (68 Abgeordnete) in maximal 3 Wahlgängen. Sollte keine gültige Mehrheit erzielt werden, wird innerhalb von vier Wochen ein Wahlgremium aus den 101 Abgeordneten sowie den Gemeinde – und Stadtvertretern gebildet, die in einem vierten und fünften Wahlgang den Präsidenten mit mehr als der Hälfte der Gesamtstimmen wählen. Erreicht auch diese Wahl kein gültiges Stimmergebnis, geht die Wahl wieder an das Parlament (Riigikogu) zurück. Der Präsidentschaftskandidat, der dann mehr als die Hälfte der Stimmen aller Abgeordneter erhält, ist zum nächsten Präsidenten in Estland gewählt.

Bei der Wahl der Abgeordneten und ihrer Parteien gilt die Fünf-Prozent-Hürde, wobei nicht die Parteien sondern Personen aus einer nummerierten Kandidatenliste unter Nennung der Partei gewählt werden. Ein Direktmandat führt ohne Beachtung der Fünf-Prozent-Klausel zum Einzug in das Parlament (Riigikogu). Erhält keiner der Kandidaten ein Direktmandat, die Partei jedoch mehr als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen, so ziehen anteilig an den gewonnenen Sitzen entsprechend die Kandidaten mit den meisten Wählerstimmen ins Parlament ein. Die Regierung ernennt in 15 Landkreisen die Landräte. Zu den Wahlen der Parlamente der 33 Städte und 194 Gemeinden sind auch Personen, die nicht in Estland geboren wurden, aber eine gültige Aufenthaltsbescheinigung besitzen, berechtigt. In den meisten Fällen sind es russische Mitbürger, die durch den Nachweis der nötigen estnischen Sprachkenntnisse auch die estnische Staatsbürgerschaft erhalten können. Fast 150.000 Menschen haben diese Möglichkeit schon genutzt, denn viele ehemaligen Einwanderer haben bereits Kinder, die in Estland geboren wurden.. Das „Nationale Integrationsprogramm 2008 – 2013“ unterstützt die Eingliederung der russischen Bevölkerung z.B. durch die Einführung von in estnischer Sprache gehaltenen Unterrichtsstunden an russischsprachigen Schulen. Bis 2012 soll möglichst 60% des Unterrichts in estnischer Sprache stattfinden, um der jüngeren Generation bessere Ausbildungs – und Berufschancen zu ermöglichen.

Seit der Unabhängigkeit Estlands im Jahr 1991 ist die zwölfte Regierung im Amt. Die aktuelle Regierung besteht aus einer Koalition der klassisch- liberalen Reformpartei (31 Sitze, Sieger der Wahl Andrus Ansip, aktueller Aussenminister) und der konservativen IRL (Isamaa ja Res Publica Liit, 19 Sitze). Die politische Opposition bildet die populistische Zentrumspartei (28 Sitze), die ländlich-agrarische Volksunion (5 Sitze), die ökologisch orientierten Grünen (das erste Mal mit 6 Sitzen im Parlament) und die Sozialdemokraten (10 Sitze).

Die letzten Parlamentswahlen im Jahr 2007 erregten internationales Aufsehen, da Estland als erstes Land die Stimmabgabe zur Wahl optional per Internet ermöglichte. Der Wähler benötigt einen Ausweis mit digitalem Chip, das durch ein Lesegerät erkannt wird und bekommt über eine Pin-Nummer Zugang zum System. Um die Anonymität der Stimmabgabe zu gewährleisten, kann mit einer zweiten Pin-Nummer die Eingabe an den Server verschlüsselt werden. Schon 2005 fanden die Kommunalwahlen in Estland mit dem gleichen Verfahren statt.

Estland ist seit 2004 Mitglied in der NATO und unterhält zu fast allen NATO-Partnern eine aktive gegeseitige Verteidigungskooperation. Enge Beziehungen zu den USA führten zu Einsätzen im Irak und in Afghanistan, aber auch Georgien, Moldau und die Ukraine werden durch Estland besonders unterstützt. Die Beziehungen zu Deutschland, Finnland und Schweden haben im Gegensatz zur ehemaligen Besatzungsmacht Russland sowohl unter wirtschaftlichen als auch unter kulturellen Aspekten eine grosse Bedeutung.

Seit dem 1. Mai 2004 ist Estland Mitglied der EU und hält 6 Mandate im Europa-Parlament. Siim Kallas, ein an der Universität Tartu (Dorpat) mit Auszeichnung graduierter und promovierter Volkswirt im Bereich „Finanzwesen und Kredit“ ist Vize-Präsident der EU-Kommission und Kommissar für Verkehr. Die bevorstehende Einführung des Euro als gemeinschaftliche EU-Währung ist zum 1. Januar 2011 vorgesehen.

Energiepolitisch ist der Anschluss an die westeuropäischen Energienetze zur Verbesserung und zunehmenden Unabhängigkeit von Russland für die Energieversorgung Estlands wesentlicher Bestandteil der energiepolitischen Diskussion. Langfristig ist die Entwicklung erneuerbarer Energien (Windkraft, Biomasse ) sowie die Errichtung eines eigenen Kraftwerks geplant, denn bisher stammt 90% der in Estland produzierten Energie aus der Ölschieferverbrennung, die jedoch eine starke Umweltbelastung verursacht. Grosse Teile des verbrannten Ölschiefers bleiben als Asche zurück und müssen gelagert werden. Durch den Ölschieferabbau kommt es auch zur Verschmutzung des Grundwasser. Bis spätestens 2015 muss die Frage des weiteren Betriebs der bestehenden Anlagen geklärt werden. EU-Gelder in Höhe von 100 Millionen Euro sind für die Erweiterung der bereits bestehenden „Estlink“-Strombrücke nach Finnland bereitgestellt, um ein weiteres Kabel (Estlink 2) mit vergleichbarer Kapazität unter Wasser zu verlegen und bis 2013 in Betrieb zu nehmen.